Autismus

Für mich ist Autist zu sein, einfach anders als die Norm zu sein (was auch immer die Norm sein soll), die Welt anders wahrzunehmen und anders zu interagieren.

Doch zuerst zum medizinischen Teil, der mir überhaupt nicht gefällt:

Nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) gilt Autismus als „Tiefgreifende Entwicklungsstörung“ (F84). Dabei liegt eine lebenslange komplexe Störung des zentralen Nervensystems zugrunde – insbesondere im Bereich der Wahrnehmungs-Verarbeitung – die bereits im Kindesalter beginnt. Autisten wird meist eine schwere Beziehungs- und Kommunikationsstörung attestiert. Die Auswirkungen der Störung behindern auf vielfältige Weise die Beziehungen zur Umwelt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft, da sowohl kognitive als auch sprachliche, motorische, emotionale und interaktionale Funktionen betroffen sein können. Hinzu kommen zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten, die besonders für die Bezugspersonen im alltäglichen Umgang mit den autistischen Menschen sehr belastend sein können.

Autismus ist keine Störung, es ist eine andere Entwicklung des Gehirns, die bereits im Embryonal-Stadium beginnt. Also genau so eine genetische Variation wie zum Beispiel unsere Augenfarbe. Alle anderen Entstehungsgründe konnten nicht nachgewiesen werden, obwohl sich manche Gerücht hartnäckig halten. Aber ist belegt, dass es familiäre Häufungen gibt und somit eben eine genetische Ursache die Wahrscheinlichste ist.

Und somit kann es auch keine Krankheit sein, denn Krankheiten kann man heilen. Aber möchte ein Mensch mit blauen Augen von seiner Augenfarbe geheilt werden?

Und dann muss man sich auch Fragen: definieren sich autistische Personen (bzw. Personen im Autismus-Spektrum, kurz ASS) tatsächlich nach Ihren Defiziten? Diese werden vom Umfeld naturgemäß oft zuerst wahrgenommen, da das Verhalten von Menschen im ASS sich von neurotypischen Menschen eben oft unterscheidet und somit als anders, oder „nicht-normal“ angesehen wird. Doch was ist schon normal? Wo fängt Autismus an? Wenn du dich mit Autismus beschäftigst, wirst du möglicherweise auch an dir selbst autistische Züge feststellen. Aber bist du deswegen im Autismus-Spektrum?

Und Autisten sind trotz mancher Gemeinsamkeiten in der Symptomatik so unterschiedlich. „Kennst du einen Autisten, dann kennst du genau EINEN Autisten.“, sagt man immer wieder unter Menschen die sich mit dem Thema beschäftigen.

Doch was macht Personen im Spektrum nun zu den Personen die anders sind als neurotypische Personen. Zu den möglichen „Symptomen“ zählen unter anderem

  • Beeinträchtigte soziale Interaktion
    Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen, soziale Signale zu erkennen oder auf andere empathisch zu reagieren. (z. B. kein Blickkontakt, Probleme beim gemeinsamen Spielen, Missverstehen von Gestik oder Mimik)
  • Kommunikationsschwierigkeiten
    Verzögerte oder ungewöhnliche Sprachentwicklung, monotone Sprache oder gar kein Sprechen. (z. B. wörtliches Verstehen von Sprache, Schwierigkeiten mit Small Talk oder Ironie)
  • Eingeschränkte, stereotype Verhaltensweisen und Interessen
    Wiederholende Bewegungen oder Rituale, starkes Festhalten an Routinen, sehr intensives Interesse an bestimmten Themen.
  • Sensorische Besonderheiten
    Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Reizen wie Geräuschen, Licht, Berührungen oder Gerüchen. (z. B. Lärmempfindlichkeit oder das Bedürfnis nach starkem Druck auf der Haut)
  • Schwierigkeiten in der sozialen Vorstellungskraft
    Probleme, sich in andere hineinzuversetzen oder sich alternative Situationen, Gefühle oder Gedanken vorzustellen. (z. B. Probleme beim „So-tun-als-ob“-Spiel oder beim Erkennen von Absichten anderer)

Diese Merkmale können je nach Person sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein – deshalb spricht man auch von einem Spektrum. Also gibt es natürlich autistische Menschen die Blickkontakt halten können und nicht alle haben die gleichen sensorischen Besonderheiten.


Ich selbst beschäftige mich seit 2015 aus privaten und beruflichen Hintergründen mit Autismus und speziell dem Asperger Syndrom (nach ICD10), was es in dieser Form mit der neuen Klassifikation des ICD 11 nicht mehr gibt. Im ICD11 gibt keine Unterteilung mehr in Asperger oder frühkindlichen Autismus, sondern eine Einteilung nach „Schweregraden“.

Der Alltag ist für eine autistische Person oft nicht leicht, aber auch ganz und gar nicht für all jene, die in engstem Kontakt stehen. Oft stehen auch die Eltern oder nahe Angehörige vor scheinbar unlösbaren Aufgaben um autistische Personen in das „normale“ Gesellschafts-System zu integrieren. Und vor allem die Schule ist oft für autistische Kinder eine ganz besondere Herausforderung. Manchmal ist es, als ob zwei Welten aufeinander prallen.

Hier Bedarf es einerseits noch sehr viel Aufklärung (was bedeutet es Autist zu sein, was ist Stimming, Overload, Meltdown, etc.) und eine Gesellschaft die nicht nur von Inklusion spricht, sondern sie auch wirklich lebt.

Autismus zählt zu den unsichtbaren Behinderung. Warum? Weil viele Menschen im ASS viel Energie aufwenden, um in der Gesellschaft nicht aufzufallen und „normal“ zu wirken. Daher fallen viele Personen im Spektrum nicht gleich auf, oder müssen sich Sätze anhören wie:
„Du siehst gar nicht autistisch aus!“
„Wenn du autistisch sein sollst, dann bin ich das auch; ich mag auch keine lauten Geräusche!“
„Stell dich nicht so blöd an“
usw.
Ich möchte niemanden mit einer physischen Behinderung verletzen, aber unsichtbare Behinderungen erhalten leider oft noch wesentlich weniger Akzeptanz und Unterstützung in unserer Gesellschaft.

Daher bin ich auch im Verein „im Spektrum“ tätig.
Wir im Verein sind überzeugt, dass die Menschheit in ihrer Art grundlegend divers ist. Kein Mensch gleicht dem anderen exakt in Aussehen, Denkweise oder Verhalten. Selbst eineiige Zwillinge besitzen verschiedene Fingerabdrücke und unterscheiden sich in ihrem Wesen. Doch gerade Personen die nicht der „Norm“ entsprechen, oder mit einer unsichtbaren „Behinderung“ leben. (Behinderung im Sinne von: sie werden von der Gesellschaft in alltäglichen Situationen gehindert) 

Mehr erfährst du unter dem Link www.imspektrum.at

Ein wunderbares Video (leider auf Englisch), welches meiner Sichtweise entspricht, ist auf youtube zu finden:

Why everything you know about autism is wrong | Jac den Houting | TEDxMacquarieUniversity: 


„Wir sagen, Autisten fehlt es an Empathie. Nein, uns fehlt sie. Für sie!“

Hirnforscher Henry Markram